Almanca Makaleler

 

 

Muslimische Patienten und Familienangehörige im Krankenhaus

 Nilgün Demirubuz
Gesundheitsmanagerin
MEDIAN Klinikum für rehabilitation Bad Salzuflen / Kliniken an Burggraben

 

 

Sich zu einer stationären Behandlung in ein Krankenhaus begeben zu müssen, ist für jeden Menschen eine sehr belastende, mit Ängsten besetzte Erfahrung. Jedoch kann der Aufenthalt von Muslimen im Krankenhaus sowohl für den Betroffenen als auch für Ärzte und Pflegepersonal darüber hinaus noch mit besonderen Problemen verbunden sein. Dies trifft insbesondere bei Muslimen zu, die außerhalb Deutschlands aufgewachsen sind und bisher nur wenig in die deutsche Mehrheitsgesellschaft integriert sind.

Hinsichtlich der regionalen Herkunft bei den Muslimen in Deutschland handelt es sich um eine sehr heterogene Bevölkerung. Erwartungsgemäß dominiert die Gruppe der Türkischstämmigen mit 63 Prozent. Auch sind unter den in Deutschland lebenden  Muslimen unterschiedliche Glaubensrichtungen vertreten. Die größte Gruppe unter den Muslimen in Deutschland bilden die Sunniten mit 74 Prozent.

Doch diese besonderen Probleme sind nicht nur auf die Religionszugehörigkeit des Patienten zurückzuführen. Auch Sprachschwierigkeiten und die durch die Verschiedenheit der sozialen und kulturellen Herkunft geprägten Vorstellungen von Krankheit und Behandlung spielen hierbei auch eine erhebliche Rolle. 

Problembereiche

Sprachbarrieren / Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit

Wenn über Schwierigkeiten in der Behandlung/Betreuung von Migranten gesprochen wird, werden die Sprachbarrieren meistens an erster Stelle genannt. Sprachbarrieren führen oftmals zu Unsicherheiten und Vertrauensvorbehalten, die zu unüberbrückbaren Hürden werden können. In letzter Zeit hat die Personaleinstellung von mehrsprachigem Fachpersonal in den Krankenhäusern zwar glücklicherweise zugenommen, jedoch ist es unrealistisch davon auszugehen, ausreichend in allen Sprachen und Fachbereichen muttersprachliches Fachpersonal einstellen zu können. Aus diesem Grund sind sowohl Patienten als auch das Krankenhauspersonal  dringend auf Dolmetscher angewiesen. Da aber in Deutschland der Einsatz von Dolmetschern lediglich in der Justiz rechtlich und organisatorisch ausreichend geregelt ist, kann auf geschulte Dolmetscher im Gesundheitswesen in Deutschland nur eingeschränkt zurückgegriffen werden. In ihrer Not greifen Fachkräfte häufig auf Familienangehörige der Patienten oder auf Reinigungskräfte als Übersetzer zurück, welches jedoch zu einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten führen kann.

Die Art, wie Schmerzen oder andere Beschwerden zum Ausdruck gebracht werden, ist weitgehend kulturbedingt. Ein großer Teil der in Deutschland lebenden Muslime kommt aus Ländern  und sozialen Milieus, in denen in dieser Beziehung ein wesentlich expressiveres Verhalten üblich ist als bei durchschnittlichen deutschen Bürgern. Wie z.B. häufig wiederholten, lauten, insbesondere bei Frauen auch von Weinen begleiteten Klagen. Solche Verhaltensweisen stößt oftmals bei den Ärzten und Pflegepersonal auf Unverständniss und werden daher auch oft als wehleidig

oder gar hysterisch gesehen. Auch werden diese Verhaltensweisen veralgemeinert und es entstehen Vorurteile wie z.B. “ Ach, die jammern ja bei jeder Kleinigkeit”. Der Patient wird mit seinem Leiden nicht ernst genommen. Verständigungsschwierigkeiten aufgrund von Sprachbarrieren verschärfen die Situation und  nicht selten entsteht bei den Patienten das Gefühl nicht wahrgenommen  worden zu sein.

Krankenbesuche

Das Besuchen von Kranken hat einen festen Stellenwert in der islamischen Lebenspraxis. Muslime sind sogar ausdrücklich aufgefordert, andere Muslime, die krank sind zu besuchen. Somit ermöglicht ein Krankenbesuch dem muslimischen Besucher die Entfaltung seiner religiösen Identität. Der Besuch bedeutet für den Kranken selber Anerkennung und Achtung durch sein familiäres und soziales Umfeld. Es ist ein konkretes Zeichen für die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft.   

Mittlerweile gehört die verhältnismäßig hohe Anzahl muslimischer Besucher zum alltäglichen Bild der deutschen Krankenhäuser. Das Personal in deutschen Krankenhäusern staunt immer wieder, wie viel Besuch gerade muslimische Patienten oft bekommen. Jedoch kann die hohe Anzahl der Besucher von Mitpatienten belastent empfunden werden oder aber auch den Stationsablauf beeinträchtigen. Das Pflegepersonal ist meistens mit dieser Situation überfordert. Wichtig dabei ist von dem Stationsteam nicht eine ablehnende Haltung sondern Klarstellung gegenüber dem Patienten und dessen Besucher, dass Krankenbesuch geschätzt und respektiert wird, aber dies nicht die Mitpatienten belasten und den Stationsablauf beeinträchtigen darf. Die Bitte, den Besuch – wenn möglich – in einem Aufenthaltsraum fortzuführen wird oft mit Verständnis aufgenommen.

Ausübung der religiösen Pflichten eines muslimischen Patienten im Krankenhaus

Das Pflichtgebet

Für einen praktizierenden Muslim bedeutet das tägliche fünfmalige Gebet Kommunikation mit Gott. Die Muslime sind, anders als beim Fasten, im Krankheitsfall vom Pflichtgebet nicht befreit, da es auch möglich ist liegend oder durch Augen und Kopfbewegungen das Gebet zu imitieren. Das Pflichtgebet muss aber nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern in einem Zeitraum von zwei bis sechs Stunden (abhängig von der Jahreszeit) verrichtet werden.

Da der Krankenhausaufenthalt oft in einem Mehrbettzimmer stattfindet, ist es für die muslimischen Patienten schwierig, ihre täglichen Pflichtgebete im Patientenzimmer zu verichten. Die unverständliche Reaktion der Mitpatienten und Krankenhauspersonal ist für viele der muslimischen Patienten unangenehm und führt zur Unterlassung des Gebetes, welches wiederum bei ihnen Unwohlsein hervorruft.

Aus diesen und ähnlichen Gründen ist ein Gebetsraum im Krankenhaus für viele praktizierende Muslime sehr wichtig. Das Freitagsgebet, welches in einer Moschee gemeinsam verrichtet wird, ist für die  muslimischen Männer Pflicht. Dies wird auch von den muslimischen Männern sehr ernst genommen, auch wenn sie ansonsten das tägliche Pflichtgebet nicht verrichten.

 Daher ist es wichtig, diesen Patienten für das Freitagsgebet die Möglichkeit zu geben in die Moschee zu gehen, wenn dies aus medizinischen Gründen vertretbar ist.

Das Fasten

Das Fasten gehört für viele Muslime trotz körperlicher Anstengung zu den am häufigsten ausgeübten islamischen Grundpflichten. Für einen praktizierenden Muslim würde der Verzicht auf das Fasten sein Wohlbefinden beeinträchtigen.

Das Fasten kann den Heilungsprozess bei einem Krankheitszustand beeinflussen, da eine regelmäßige Medikation und medizinische Intervention nicht möglich ist. Jedoch wird im Koran ausdrücklich betont, dass Kranke von der Fastenpflicht ausgenommen sind. Da aber die Grenzen nicht detailliert beschrieben werden, geraten manche Muslime in einen Konflikt zwischen der Wahrung der Gesundheit und der auferlegten islamischen Grundpflichten. Es kommt durchaus vor, dass die muslimischen Patienten, trotzt medizinischer Bedenken fasten und die Ärzte in solchen Fällen überfordert sind.

Medizinische / Therapeutische Maßnahmen

Behandlung und Pflege durch andersgeschlechtliches

Ärzte-/Pflegepersonal

Bei einem Klinikaufenthalt bleibt eine körperliche Untersuchung nicht unumgänglich. Da aber ein Krankheitsfall in vielerlei Hinsicht einen Ausmahmezustand darstellt, gilt das Rechtsprinzip “Die Notlage macht das Verbotene erlaubt”. Allerdings wird die

“Notlage” von in Deutschland lebenden Muslimen unterschiedlich wahrgenommen und daher entstehen auch in der Praxis unterschiedliche Verhaltensformen. Für manche Muslime ist im Krankheitsfall das Entblößen des Körpers vor einem

gegengeschlechtlichen Krankenhauspersonal akzeptabel und manche Muslime würden wiederum dies auch bei einem Krankheitsfall gerne vermeiden.

Fallbeispiel: Ein älterer muslimischer Patient musste im Krankenhaus eine Zeitlang wegen seiner Erkrankung gepflegt und gewaschen werden. Später erzählte er über seinen Krankenhausaufenthalt, dass nicht die Erkrankung das Schlimmste war, sondern dass er von einer Frau gepflegt und gewaschen werden musste.

Daher ist es empfehlenswert, schon bei der Aufnahme über die Wertvorstellungen des Patienten zu sprechen.

Medikamente und Inhaltsstoffe

Aufgrund der islamischen Speisevorschriften, sollte auf alkoholhaltige Medikamente verzichtet werden, wenn Alternativen zur Verfügung stehen. Selbstverständlich gilt aber auch hier das Rechtsprinzip, dass die Notlage Verbotenes erlaubt.  Auch dies wird von den Muslimen unterschiedlich wahrgenommen. Da es aber nur mit einem gesunden Körper möglich ist, die religiösen Pflichten zu praktizieren und dadurch die

Genesung im Vordergrund steht, wird fast von allen Muslimen (wenn keine Alternativen vorhanden sind) auch alkoholhaltige Medikamente akzeptiert. Nur gibt es fast für jedes alkoholhaltige Medikament auch Alternativen (Antialkoholikern werden auch Medikamente ohne Alkohol verabreicht).

Auch hier ist es empfehlenswert, bei der Aufnahme über die Wertvorstellungen des Patienten zu sprechen.

 

Ernährung

Mittlerweile werden in jedem Krankenhaus Speisen ohne Schweinefleisch angeboten. Sehr viele Muslime legen allerdings großen Wert darauf, nach islamischen Richtlinien geschächtetes (Helal) Rind oder Lammfleisch zu verzehren. Auch ist es sehr wichtig, dass bei der Zubereitung von Speisen weder Schweinefett, Alkohol oder Gelantine verwendet wird. Dies ist allerdings in den Krankenhäusern nicht immer möglich. Aus diesem Grund kommt es sehr häufig vor, dass die Familienangehörigen von zu Hause selbst zubereitete Speisen mitbringen. Dies sollte aber insbesondere bei Diabetikern oder bei Patienten die aufgrund ihrer Erkrankung auf Diät gesetzt worden sind unbedingt vorher mir dem behandelden Arzt abgesprochen werden.

Im Rahmen der kultursensiblen Versorgung der Rehabilitationskliniken MEDIAN Kliniken Ostwestfalen-Lippe wird von Anfang an für die muslimischen Patienten “Helal” (nach islamischen Richtlinien geschlachtete Tiere) Fleisch angeboten. Auch werden die Speisen gesondert zubereiten. Dies wird von den muslimischen Patienten sehr geschätzt. Da ein Reha-Aufenthalt sich über mehrere Wochen hinzieht und der Reha-Ort auch meisten vom Wohnort weit entfernt ist, spielt dies auch für die Angehörigen eine große Rolle.

Patientenverfügung

Obwohl nach dem islamischen Glauben, die eigenverantwortliche Entscheidung des Betroffenen in allen Lebensbereichen – auch in medizinischen Behandlungen – von großer Bedeutung ist und die Anwendung einer Patientenverfügung mit dem islamischen Menschenbild auch vereinbar ist, ist eine Patientenverfügung unter den in Deutschland lebenden Muslimen nicht sehr geläufig.

Auch wenn jeder Muslim im Jenseits gegenüber Allah Rechenschaft über seine Entscheidungen und Taten ablegen muss, wird in schwierigen Lebenslagen die Familie mit einbezogen, weil auch der Zusammenhalt der Familie im Islam eine große Rolle spielt. Dies scheit aber nicht der einzigste Grund zu sein. Insbesondere ältere Muslime haben oftmals sehr wenig Wissen über medizinische Praxen. Als Unterstützung werden die Kinder zur Rat gezogen.

Weil für ein Muslim bei der Entscheidungsfindung die islamische Rechtslage von großer Bedeutung ist, sind bei der Anwendung einer Patientenverfügung für muslimische Patienten sowohl medizinische als auch theologische Komponenten sehr wichtig.  Deswegen ist in diesen Bereichen eine umfangreiche Auflärung unumgänglich.   

Handlungsnotwendigkeiten

Geschulte Dolmetscher

In den meisten Ländern der europäischen Gemeinschaft ist das  Recht,  verstanden zu werden, öffentlich und teilweise juristisch verankert. Daher gilt die Mehrsprachigkeit als Norm und nicht als Ausnahme und wird auch im

Gesundheitswesen fachlich umgesetzt. In den Niederlanden z.B. wurden professionelle Ausbildungs- und Qualitätssicherungskriterien installiert. Ohne solche Kriterien werden in Deutschland die Schwierigkeiten aufgrund von Sprachbarrieren nicht zu beheben sein.

Im Vergleich zu einigen europäischen Ländern wie z. B. Niederlande oder Schweiz ist in Deutschland jedoch der Einsatz von geschulten Dolmetschern nur in der Justiz rechtlich ausreichend geregelt. Das Hinzuziehen von Dolmetschern für den Bereich des Gesundheitswesens, ist durch ein Urteil des Oberlandesgerichtes Düsseldorf (Az.:8 U 60 / 88), nur vor operativen Eingriffen abgesichert. Bei Verständigungsschwierigkeiten in den niedergelassenen Arztpraxen, brauchen die Krankenkassen, nach einem Urteil des Bundessozialgerichtes (Az.: 1 RK 20 / 94) diese Leistung nicht zu bezahlen. Hier muss entweder der Arzt selber die Kosten tragen oder diese dem Patienten in Rechnung stellen.

Die Sprache ist jedoch ein wichtiges Medium, da es die direkte Kommunikation ermöglicht. Der Zugriff auf Dolmetscher sollte, wie es im Bereich der Justiz bereits vorliegt, auch ein Bestandteil der gesundheitlichen Dienstleistungen werden. Besonders in Bereich der gesundheitlichen Dienstleistungen ist es sehr wichtig, auf speziell ausgebildete, supervisierte Dolmetscher zurück greifen zu können. Daher ist es notwendig von einer monolingualen und monokulturellen Sichtweise abzurücken, politische und rechtliche Lösungen für ein multilinguales Sozial- und Gesundheitswesen zu gestalten.  

Interkulturelle Öffnungen / Interkulturelle Schulungen

Mittlerweile haben sich in Deutschland viele Einrichtungen im Gesundheitswesen interkulturell geöffnet. Nur sind es vorwiegend psychiatrische Einrichtungen oder Reha-Zentren. In den Akut-Krankenhäusern ist dies leider nicht der Fall. Auch finden interkulturelle Schulungen fast nur in Reha-Zentren oder psychiatrischen Einrichtungen statt. Obwohl die Akut-Krankenhäuser wesentlich mehr auf interkulturell geschultes Personal angewiesen sind, sind diese auch in diesem Bereich deutlich unterrepresentiert.  Hier ist eindeutig Handlungsbedarf vorhanden.

 

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